Am Sonntag, 29. November war die Bevölkerung der Schweiz zum vierten Mal in diesem Jahr aufgerufen über Initiativen und Gesetze abzustimmen. Diesmal wurde das Ergebnis europaweit mit großem Interesse verfolgt. Während die Bundesregierung seit Monaten um ein Sorgfaltspflichtengesetz zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in globalen Lieferketten ringt und auch auf europäischer Ebene darüber diskutiert wird, wurde in dem als wirtschaftsliberal geltenden Alpenland über die Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ abgestimmt.
Der Abstimmungs-Wahlkampf zur „Konzernverantwortungsinitiative“ war heftig. Schließlich ist die Schweiz Heimatland einer Reihe von Großkonzernen aus dem Lebensmittel-, Pharma- oder Baustoff- und Rohstoffbereich mit global verzweigten Firmenstrukturen und weltweiten Lieferantennetzwerken. Viele Wirtschaftsvertreter befürchteten einen erheblichen Nachteil für die schweizerische Wirtschaft. Befürworter der Initiative stellten Ausbeutung und Kinderarbeit in vielen Ländern sowie massive Umweltverschmutzung ins Zentrum der Kampagne.
Sowohl in den Umfragen, als auch beim Abstimmungsergebnis, lagen die Befürworter einer strengeren Regelung für Sozial- und Umweltschutzstandards vorne. 50,7 Prozent der abgegebenen Stimmen lauteten auf „Ja“ – also für mehr Verantwortung von in der Schweiz ansässigen Unternehmen. Jedoch konnte keine Mehrheit der Kantone („Ständemehr“) erzielt werden. Hier votierten 14,5 Kantone gegen und 8,5 für strenge Unternehmensregeln. Da auch eine Mehrheit der Kantone hätte positiv votieren müssen, ist die Volksinitiative abgelehnt. Nun tritt eine weniger strenge Regelung für Menschenrechte und Umweltstandards in Kraft. Große Unternehmen müssen nun regelmäßig Berichte zur Einhaltung der Vorgaben abgeben und können maximal mit einem Bußgeld bestraft werden.
Die Debatte in der Schweiz erinnert stark an die Diskussionen in Deutschland. Während Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für Unternehmen Berichtspflichten und je nach Unternehmensgröße abgestufte Haftungsregeln vorschlagen, akzeptieren Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) und die Wirtschaftsverbände maximal Bußgelder bei nachgewiesenen Verstößen gegen Sozial- und Umweltstandards. Auch Sinn und Notwendigkeit eines Lieferkettengesetzes wird regelmäßig diskutiert, obwohl die beiden Unternehmensbefragungen zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplanes Nachhaltigkeit in diesem Jahr weder auf großes Interesse bei den Unternehmen gestoßen sind, noch die Ergebnisse zur freiwilligen Verpflichtung zufriedenstellen. Für diesen Fall beinhaltet der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD jedoch eine eindeutige Vereinbarung, nämlich ein Sorgfaltspflichtengesetz.
Ob das Abstimmungsergebnis in der Schweiz und die vorausgegangene Debatte Auswirkungen auf Deutschland haben werden, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass die Schweiz nun ein Lieferkettengesetz bekommen hat. Soweit sind wir bei uns leider noch nicht. Ob in den kommenden Wochen ein Kompromiss mit dem Wirtschaftsministerium gefunden werden kann, bleibt weiterhin fraglich.
Inzwischen hat sich eine breite Initiative aus Sozialverbänden, Kirchen und Zivilorganisationen gefunden, die ein Lieferkettengesetz in Deutschland fordern. Auch Autokonzerne, Unternehmen der Chemiebranche und Sportartikelhersteller befürworten gesetzliche Regelungen, um einheitliche Spielregeln gegenüber Wettbewerbern zu erhalten. Es bleibt also spannend, ob von der Schweiz nun ein Signal nach Berlin geht.