Zu wenigen Themen habe ich jemals so viele Zuschriften erhalten wie zu der Impfpflicht. In den vergangenen Wochen und Monaten haben mir Menschen geschrieben, die vehement gegen eine solche Verpflichtung zur Immunisierung argumentieren – sowohl überzeugte Impfgegnern als auch Menschen, die selbst geimpft und geboostert sind, aber eine Impfpflicht für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit halten. Auf der anderen Seite haben sich Bürgerinnen und Bürger gemeldet, die mich aufgefordert haben, für eine Impfpflicht zu stimmen, die sie für die entscheidende Maßnahme halten, um uns endlich und endgültig aus dieser Pandemie zu führen.
Impfpflicht ab 60 Jahren gescheitert
Diese Woche war es so weit, der Bundestag hat über die Impfpflicht entschieden. Wie Sie sicher schon gelesen haben, ist die Impfpflicht gescheitert. Der Gruppenantrag für eine Impfpflicht ab 60 Jahren, der auch eine verpflichtende Impfberatung für alle Bundesbürger ab 18 Jahren enthielt, hat eine Mehrheit deutlich verpasst – eine Blamage für den Kanzler und seinen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die sich hinter diesen Antrag gestellt hatten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat einen eigenen Antrag eingebracht. Die wesentlichen Punkte unseres Konzepts bestanden in der Einführung eines Impfregisters, um endlich zu wissen, wer in unserem Land tatsächlich bereits immunisiert ist und wer nicht, und ein Stufenmodell für eine Impfpflicht. Sollte im Herbst eine gefährlichere und ansteckendere Variante des Coronavirus auftauchen, könnte dieses Modell schnell „scharf gestellt“ werden und eine Impfpflicht, gestaffelt nach Alter und Gefährdung, zügig greifen. Auch der Unionsantrag erreichte im Bundestag keine Mehrheit.
Vorsorge statt Impfpflicht
Ich habe für unseren Antrag gestimmt – habe mir diese Entscheidung allerdings nicht leicht gemacht. Ich werbe dafür, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen und ich habe bereits dargelegt, dass mich viele Zuschriften erreicht haben, in denen ganz unterschiedliche Meinungen vertreten wurden. Wie soll ich in so einem Fall entscheiden? Nach der Anzahl der Briefe und E-Mails? Natürlich nicht! Deshalb halte ich es grundsätzlich so, dass ich in der Sache und nach meinem Gewissen entscheide. In der aktuellen Situation halte ich eine Impfpflicht für nicht verhältnismäßig, da derzeit keine Überlastung des Gesundheitssystems droht und die Omikron-Variante meist zu milderen Verläufen führt. Es ist meiner Meinung nach allerdings zwingend notwendig, Vorsorge zu treffen, falls sich die Corona-Situation im Herbst wieder verschlimmert.
Tricksereien der Ampel
Lassen Sie mich noch eine Wort zum Vorgehen der Ampel-Regierung in dieser Frage verlieren: Die Abstimmung über die Impfpflicht zur Gewissensentscheidung zu erheben, war von Anfang an ein Trick, um zu kaschieren, dass Olaf Scholz nicht über die Kanzlermehrheit verfügt, um eine Impfpflicht einzuführen. Darüber hinaus wurden in einer Nacht und Nebel Aktion, die Anträge zur Impfpflicht ab 18 Jahren (zunächst von Kanzler und Gesundheitsminister favorisiert) und zur Impfpflicht ab 50 Jahren zu einem Antrag – Impfpflicht ab 60 Jahren – zusammengefasst.
Hier drängt sich der Eindruck auf, dass in letzter Minute das Gesicht des Kanzlers gewahrt werden sollte. Zu allem Überfluss wollten die Spitzen der Regierungsfraktionen einen Verfahrenstrick anwenden. Es sollte zunächst über den Unionsantrag abgestimmt werden, um die Unionsageordneten nach dem Scheitern ihres Antrags in Zugzwang zu setzen, für die Impfpflicht ab 60 Jahren zu stimmen.
Dabei ist es gute Gepflogenheit im Deutschen Bundestag und in allen demokratischen Parlamenten dieser Erde, dass immer zuerst über den weitest gehenden Antrag, in diesem Fall ist das eindeutig die Impfpflicht ab 60 Jahren, abgestimmt wird. Diese Trickserei schien dann sogar einigen Abgeordneten der SPD, FDP und der Grünen zu weit zu gehen. Das Vorgehen wurde per Abstimmung abgelehnt.
Egal, wie man zum Thema Impfpflicht steht, dieses unwürdige Geschacher fügt der demokratischen Kultur unseres Landes schweren Schaden zu – und es ist gut, dass es nicht von Erfolg gekrönt wurde.