Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an Finnland denken? Sauna, PISA-Weltmeister oder vielleicht das Leuchten des Polarlichts? Wer sich für Geschichte und Politik interessiert, dachte bisher eventuell auch an militärische Neutralität. Am Anfang des Ukraine-Konflikts war aus diesem Grund viel von der „Finnlandisierung“ der Ukraine die Rede – damit sei Putin vielleicht zu besänftigen. Was der russische Präsident tatsächlich mit seinem sinnlosen Angriffskrieg erreicht hat: Nicht einmal Finnland will länger „finnlandisiert“ sein. Das Land liefert Waffen an die Ukraine und drängt unter den Schutzschirm der NATO. Verständlicherweise, denn das Land teilt eine 1.300 Kilometer lange Grenze mit dem russischen Aggressor.
Ein wahrnehmbarer Stimmungswandel
Jahrzehntelang gehörte die militärische Neutralität zur finnischen Staatsräson, die in der Bevölkerung große Zustimmung fand. Von dem rasanten Stimmungswandel im Land – mittlerweile befürwortet eine Mehrheit den NATO-Beitritt – konnte ich mir vergangene Woche selbst ein Bild machen: Mit der Robert-Bosch-Stiftung unternahm ich eine Studienreise für derzeitige und ehemalige Mitglieder des Deutschen Bundestages nach Helsinki. Dort durfte ich spannende Vorträge zur sicherheitspolitischen Situation des Landes hören und konnte mit vielen Finninnen und Finnen direkt Gespräche führen.
Die finnische Zeitenwende
Wer verstehen will, warum auch Finnland eine „Zeitenwende“ durchlebt, die einen noch größeren Einschnitt darstellt als in Deutschland, muss auf die Geschichte des Landes blicken: Finnland gehörte zum russischen Zarenreich, erlangte seine Unabhängigkeit, wurde von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion mit Krieg überzogen und entwickelte sich schließlich zum neutralen Staat, der sich gen Westen orientierte, allerdings stets gute Beziehungen zu Russland unterhielt.
Die Geschichte ist auch der Grund, weshalb wir das Bedrohungsgefühl des finnischen Volkes unbedingt ernst nehmen müssen. Denn: Wladimir Putin begründet seinen Krieg gegen die Ukraine bis heute mit seinem – falschen – Geschichtsverständnis, dass die Ukraine historisch zu Russland gehört. Dieselbe Begründung ließe sich auch auf Finnland anwenden.
Unterstützung des NATO-Beitritts Finnlands
Mich hat die Reise in meiner Position bestärkt, dass wir fest an der Seite Finnlands stehen und den NATO-Beitritt des Landes unterstützen müssen. Von Putins Drohungen dürfen wir uns dabei nicht abschrecken lassen. Diesen Fehler haben wir bei der Ukraine gemacht – und das Ergebnis sehen wir heute in Mariupol, in Butscha, in Charkiw, in Odessa und all den anderen ukrainischen Städten, die Putin von seinen Soldaten verwüsten lässt. Wäre die Ukraine Mitglied der NATO, all das wäre nicht passiert.
Ein Vorbild für Deutschland
Obwohl die Sicherheitspolitik aufgrund der aktuellen Situation freilich das bestimmende Thema war, konnten wir uns erfreulicherweise auch über andere Fragen austauschen: Finnland treibt die Digitalisierung des Landes massiv voran – die Stichwörter lauten hier „e-Democracy“ und e-Governance“ –, es lag im UN-Ranking für Nachhaltige Entwicklung im letzten Jahr auf Platz eins und Helsinki ist auf dem Weg zur echten „Smart City“ weit vorangeschritten. Hier sollte sich Deutschland ein Beispiel nehmen und könnte von unseren nördlichen Partnern noch einiges lernen.