Die für diese Woche geplante Wahl neuer Richterinnen und Richter zum Bundesverfassungsgericht wurde kurzfristig abgesetzt. Das ist kein gewöhnlicher Vorgang – denn die Wahl ist eine der zentralen Aufgaben des Deutschen Bundestags. Acht der insgesamt 16 Richterinnen und Richter des höchsten Gerichts wählt der Bundestag, acht weitere der Bundesrat.
Gerade weil das Bundesverfassungsgericht eine tragende Säule unserer Verfassungsordnung ist, müssen Kandidatinnen und Kandidaten über jeden Zweifel erhaben sein – fachlich wie persönlich. Sie brauchen breite Unterstützung über Parteigrenzen hinweg.
In den letzten Tagen gab es intensive politische Diskussionen über die Nominierungen. Kurz vor der geplanten Wahl wurden zudem Zweifel an der wissenschaftlichen Integrität einer Kandidatin laut, die in der Kürze der Zeit nicht überprüfbar waren. Trotz des Vorschlags der Union, zumindest die beiden anderen – unbestritten qualifizierten – Kandidaten zu wählen, kam es zu keiner Einigung. Die Koalitionsspitzen entschieden schließlich, die gesamte Wahl zu vertagen.
Unser Ziel bleibt eine zügige und sorgfältige Nachbesetzung der offenen Richterstellen. Dabei muss gelten: Die Wahl ans Bundesverfassungsgericht darf nicht Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen werden. Die Persönlichkeiten, die für dieses hohe Amt vorgeschlagen werden, sollten breiten gesellschaftlichen Rückhalt finden – nicht nur wegen der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen 2/3-Mehrheit mit der sie im Bundestag gewählt werden müssen.
Nach der aufgeheizten Debatte der vergangenen Tage stellt sich mir jedoch zunehmend die Frage, ob wir als Gesellschaft noch in der Lage sind, unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Wenn das höchste Gericht politisiert wird, verliert es an Autorität. Dabei braucht es Richterinnen und Richter mit unterschiedlichen Hintergründen und Blickwinkeln – aber mit einem gemeinsamen Maßstab: dem juristischen Argument.
Die öffentliche Auseinandersetzung, wie wir sie gerade erleben, könnte hervorragend geeignete Kandidaten davon abhalten, sich für dieses Amt zu bewerben. Das wäre ein großer Verlust für unsere Demokratie.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Kommt der Bundestag zu keiner Entscheidung, greift der sogenannte Ersatzwahlmechanismus – dann liegt die Entscheidung beim Bundesrat. Welche Kandidatinnen und Kandidaten dort mehrheitsfähig wären, bleibt abzuwarten. Fest steht: Wir tragen Verantwortung – nicht nur für die Wahl, sondern auch für die Integrität und Unabhängigkeit unseres höchsten Gerichts.